Big Data auswerten IoT-Betriebssysteme und wie sie „den Anschluss finden“
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IoT-Betriebssysteme haben es in sich: Sie erfüllen zunehmend anspruchsvolle Aufgaben mit den geringsten Systemressourcen, um Big Data aus der Sensorik für die Analyse zu „ernten“. Sie sind das Herzstück der Edge-Intelligenz.

Um die zeitnahe Datenerfassung und -Übertragung von Big Data zu ermöglichen, muss ein IoT-Betriebssystem das betreffende Edge-Gerät mit der notwendigen Betriebslogik ausstatten, soweit so gut. In dem eng bemessenen Spielraum starrer Einschränkungen der benötigten Leistungskennzahlen müssen sie zuverlässig funktionieren – und zwar ganz ohne Aussetzer (na gut, im Idealfall).
Die Beschränkungen erstrecken sich von der physischen Bauart über Kennzahlen des Energieverbrauchs, die Verarbeitungskapazität, den verfügbaren Arbeitsspeicher und nicht zuletzt die Konnektivität, wohlgemerkt im Kontext der jeweiligen Aufgabe. IoT-Betriebssysteme müssen echtzeitfähig sein (daher der Begriff: RTOS für Real Time Operating System) und mit den limitierten Ressourcen effizient auskommen.
Untrennbare Zwillinge
IoT-Betriebssysteme nutzen Softwarestacks, um die benötigten Messwerte zu erfassen, gegebenenfalls auszuwerten und/oder weiterzuleiten. Das ist aber kein Selbstzweck. Dank der Daten aus IoT-Endpunkten schaffen sie neue Möglichkeiten zur direkten Einbindung der physischen Welt in ein Computermodell. Diese Modelle, die sogenannten digitalen Zwillinge (Engl. Digital Twins), erlauben es unter anderem, Prozesse zu simulieren und zu modellieren, um ihre Effizienz zu verbessern. Sie erlauben es, die physische Realität zu überwachen und Abläufe zu koordinieren.
Digitale Zwillinge finden bereits in der Produktion oder Logistik Anwendung. BMW hat so mittels Nvidias Omniverse eine ganze Fabrik in einem digitalen Zwilling erfasst.
Big Data aus IoT kann dadurch helfen, die Effizienz und Genauigkeit von Betriebsabläufen zu verbessern. Führende Technologieanbieter streben hierzu KI-gestützte Autarkie für IoT-Endpunkte an und liebäugeln mit Algorithmen des Deep Learnings, wenn nicht direkt auf dem Endgerät, dann zumindest nahe an der Edge. In diese Kategorie fällt unter anderem NVIDIA mit Jetson Nano (siehe weiter unten).
Nvidia DRIVE OS
Mit DRIVE OS hat Nvidia ein IoT-Referenzbetriebssystem für autonome Fahrzeuge mit dem zugehörigen Software-Stack im Köcher. Es wurde für die Ausführung von DRIVE-AGX-basierter Hardware entwickelt und bietet laut Nvidia eine sichere Ausführungsumgebung für sicherheitskritische Anwendungen mit Diensten wie Secure Boot, Security Services, Firewall und Over-the-Air (OTA) Updates.
Dieser grundlegende Software-Stack für autonome Fahrzeuge besteht aus einem eingebetteten Echtzeit-Betriebssystem (einem sogenannten RTOS), dem Nvidia Hypervisor, Nvidia CUDA-Bibliotheken, Nvidia TensorRT und anderen Komponenten. Alle Bestandteile des Bundles sind für den direkten Zugriff auf die DRIVE-AGX Hardware-Beschleunigungsengines optimiert.
Das zugehörige SDK ermöglicht das Erstellen, Debuggen, Profilieren und Bereitstellen von Anwendungen für autonome Fahrzeuge mit Fähigkeiten zum parallelen Rechnen und Deep-Learning.
Zu den Nutzern von Nvidia DRIVE zählt die Crème-de-la-Crème der Automobilbranche. Mercedes-Benz setzt aktuell auf Nvidias DRIVE AGX Orin anstelle von Intel und Mobileye, wie ursprünglich gemeinsam mit BMW geplant (Nvidia konnte BMW inzwischen für andere IoT-Projekte gewinnen, vor allem im Bereich der Fertigung und Logistik).
Auch der Volkswagen-Konzern setzt auf Nvidia, möchte jedoch den Softwarestack übernehmen und auf Nvidias Hardware dankend verzichten. Stattdessen möchte VW für Nvidias IoT-Betriebssystem eigene Chips entwickeln und tritt damit, nebenbei erwähnt, in die Fußstapfen von Tesla. Der kontroverse kalifornische Autobauer hatte anfangs auch auf Nvidias Standardhardware gesetzt, lässt jedoch inzwischen eigene Chip-Designs für den DRIVE-Softwarestack fertigen.
FreeRTOS
Beim FreeRTOS ist von einen quelloffenen Echtzeitbetriebssystem für Microcontroller die Rede, mit dem sich kleine, stromsparende Edge-Geräte der Embedded-Klasse zur Erfassung von Daten aus der Sensorik programmieren, bereitstellen, sichern, verbinden und verwalten lassen.
Ein Mikrocontroller enthält einen einfachen Prozessor mit sehr begrenzter Rechenleistung und Speicherkapazität, der daher nur bestimmte funktionale Aufgaben erfüllt. Auf vielen Mikrocontrollern laufen noch Betriebssysteme ohne integrierte Konnektivität, was die Umsetzung von IoT-Nutzungsszenarien zu einer echten Herausforderung macht.
Mit FreeRTOS lässt sich dieses Problem elegant lösen. Das Betriebssystem umfasst neben dem Kernel zahlreiche Softwarebibliotheken für verschiedene Branchen und Anwendungsszenarien. Mithilfe dieser Bibliotheken lässt sich eine sichere Verbindung mit der Cloud oder anderen Edge-Geräten herstellen. So lassen sich kostengünstige Chips zum Erfassen von Sensordaten an der Netzwerkkante für die Auswertung in Rechenzentren in der Cloud nutzen.
Amazon AWS unterstützt die Konnektivität von Free-RTOS-Geräten mit AWS Cloud-Services wie AWS IoT Core und mit Edge-Geräten (den sogenannten Micro-RZen), die AWS IoT Greengrass ausführen.
FreeRTOS ist quelloffen und für alle Marktteilnehmer frei zugänglich. Es wurde im Hinblick auf seine Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit entwickelt und bietet die Vorhersehbarkeit von Langzeit-Support-Releases.
Windows 10 IoT und Windows Server IoT
Microsoft bietet für IoT zwei separate Betriebssysteme an: Windows für IoT und Windows Server IoT. Ersteres existiert sogar in zwei unterschiedlichen Editionen: Windows IoT Enterprise und IoT Core. Windows Server IoT ist für anspruchsvolle Edge-Computing-Arbeitslasten konzipiert. Windows 10 IoT Core adressiert Nutzungsszenarien auf Geräten mit einem extrem kleinen Footprint. Windows 10 IoT Enterprise trumpft mit speziellen Funktionen, um zweckbestimmte Geräte zu erstellen, die an einen bestimmten Satz von Anwendungen und Peripherie gebunden sind.
Für Windows 10 IoT in der Edition Enterprise bietet Microsoft optionalen kurz- und langfristigen Support. Der langfristige Wartungskanal (LTSC) ist für spezialisierte Geräte wie IoT-Maschinen der Industrie 4.0 konzipiert. Diese langfristige Support-Option bietet regelmäßige Updates alle zwei bis drei Jahre, sodass Geräte mit festem Verwendungszweck und spezialisierte Geräte länger in Betrieb bleiben können.
Embedded-Linux auf Nvidia Jetson Nano
In der hauseigenen IoT-Plattform Jetson setzt Nvidia ebenfalls auf Linux. Entwickler und Hersteller beziehen das IoT-Betriebssystem vorinstalliert auf Hardware wie dem System Jetson Nano. Bei Jetson Nano handelt es sich um ein embedded-SoM (System-on-Module) und Entwickler-Kit aus der Nvidia-Jetson-Familie für den Einsatz mit Computer Vision und Deep Learning.
Jetson Nano schafft eine in sich geschlossene Ausführungsumgebung für IoT-Anwendungen. Es kommt in IoT-Endgeräten wie Netzwerk-Videorekorder (NVRs) der Einstiegsklasse, Heimroboter und intelligente Gateways zum Einsatz. Das Linux umfasst Analysefunktionen sowie Features rund um KI und Robotik. Jetson Nano bietet hierzu eine bemerkenswerte FP16-Rechenleistung von 472 GFLOPS bei einer Leistungsaufnahme von rekordverdächtigen fünf bis zehn Watt.
Nucleus RTOS
Nucleus RTOS ist ein proprietäres hochskalierbares Echtzeitbetriebssystem von Mentor Graphics, einem Unternehmen der Siemens-Gruppe.
Nucleus RTOS kombiniert geringen Leistungsverbrauch mit deterministischer Performance. Es kommt in über drei Milliarden Geräten zum Einsatz, vor allem in Märkten mit rigorosen Sicherheitsanforderungen, darunter in der Luft- und Raumfahrt, Industrie und Medizin.
Entwickler können Multi-Core-Lösungen im gesamten Spektrum der Mikrocontroller- und Mikroprozessor-SoCs in SMP- und AMP-Konfigurationen nutzen, um mehrere Betriebssysteme zu integrieren.
Das RTOS zeichnet sich unter anderem durch intelligentes Energiemanagement aus. Es bietet hierzu Features wie die dynamische Spannungs- und Frequenzskalierung (DVFS), Deep-Sleep-Modi und Power/Clock-Gating (dynamische Anpassung der Taktfrequenz in Teilen der Schaltung). Es trumpft außerdem mit der Fähigkeit zur leichtgewichtigen Speicherpartitionierung, die unabhängig vom Speicherschutz die Zuverlässigkeit des Systems verbessert.
Projekt Zephyr der Linux Foundation
Auch Google wollte mit einem eigenen IoT-Betriebssystem namens Android Things (früher als Brillo bekannt) IoT-Zukunftsmusik spielen. Android Things läuft auf billiger, ultra-low-end IoT-Hardware. Es kommt gerade einmal mit 32 bis 64 MB RAM aus, zeichnet sich durch einen geringen Stromverbrauch aus und kann dennoch mit anderen verbundenen Geräten in der unmittelbaren Nähe unter anderem via WiFi und Bluetooth kommunizieren.
Mit Android Things wollte Google möglichst viele Hindernisse für IoT-Entwickler beseitigen. Sogar ein IoT-App-Store war geplant. Doch typisch für Google: Ob wagemutige Moonshots oder marktreife Lösungen, der dicke rote Stift ist immer in Reichweite. Android Things akzeptiert keine neuen Projekte mehr und soll laut Google am 5. Januar 2022 endgültig den Geist aufgeben. Schade eigentlich.
Möglicherweise steckt diesmal aber doch eine berechtigte Überlegung hinter Googles Entscheidung dahinter. Google hat nämlich sein ganzes Gewicht hinter Zephyr geworfen, ein Projekt der Linux Foundation.
Im Rahmen von Projekt Zephyr entsteht das „beste RTOS seiner Art für Schmalspur-IoT-Geräte“ entstehen. Google zählt neben Facebook und Intel zu den Platinum-Sponsoren der Initiative (Kostenpunkt: 100.000 bis 120.000 US-Dollar pro Jahr).
Zephyr setzt unter anderem in puncto Konnektivität neue Zeichen. Es unterstützt Bluetooth Low Energy, Wi-Fi und 802.15.4, 6LoWPAN, Ethernet, USB und sogar den CAN-Bus (Controller Area Network Bus) und kann unter anderem über CoAP, IPv4, IPv6, CAN und Thread kommunizieren. Vom teuren 5G-Mobilfunk steht da bisher kein Wort.
Mit Schwarmintelligenz zur Interoperabilität
IoT-Betriebssysteme sind nur so gut wie ihre „Schwarmintelligenz“, nämlich die Fähigkeit der betreffenden IoT-Endgeräte, „an einem Strang zu ziehen“ und ihre Aktivitäten gemeinsam zu orchestrieren. Diese Interoperabilität erlaubt der Einsatz spezialisierter IoT-Gerätemanagmentsoftware.
Zu den weltweit führenden Anbietern in dieser Kategorie zählt die israelische Upswift. Das Unternehmen unterstützt Linux-Distributionen, darunter Ubuntu und Debian sowie freeRTOS. IoT-Endgeräte lassen sich in weniger als 60 Sekunden verbinden. Upswift unterstützt unter anderem auch die gesamte Jetson-Produktfamilie von Nvidia, von Nano, über Xavier NX, AGX Xavier, Jetson TX1/2 NX bis hin zu Jetson TX1/2.
Wachstumsprognosen: außer Rand und Band
Laut einer Prognose von ResearchAndMarkets vom April 2021 bahnt sich im Markt für IoT-Betriebssysteme ungeachtet der Pandemie ein sehr starkes Wachstum an. Im Prognosezeitraum bis zum Jahre 2027 sei eine globale CAGR-Wachstumsrate von satten 36,9 Prozent realistisch. Die CAGR-Wachstumsrate für Deutschland liege bei 25,1 Prozent. Die Analysten beziffern die Marktgröße im abgelaufenen ersten Pandemiejahr 2020 auf 814,3 Millionen US-Dollar. Basierend auf dieser Einschätzung dürfte der Markt für IoT-Betriebssysteme im Laufe der kommenden sechs Jahre astronomische 7,3 Milliarden US-Dollar erreichen.
Fazit
Das Rennen um das beste IoT-Betriebssystem und die beste Managementplattform laufen derzeit parallel zueinander, dürften aber in Zukunft konvergieren. Die Edge mit ihrer Sensorik lebt im Takt der Konnektivität auf. Big Data darf hin und her strömen.
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