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Überblick über das aktuelle Angebot Eignet sich Quantenrechnen für das Business?

Von Dr. Dietmar Müller Lesedauer: 9 min |

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Quantencomputing aus der Cloud hat das Potenzial, Rechenprobleme außerhalb der Reichweite klassischer Computer zu lösen. Wir geben einen Überblick über die heute greifbaren Angebote, und was Unternehmen damit konkret machen können.

Quantencomputing hat das Potenzial, Rechenprobleme außerhalb der Reichweite klassischer Computer zu lösen.
Quantencomputing hat das Potenzial, Rechenprobleme außerhalb der Reichweite klassischer Computer zu lösen.
(Bild: frei lizenziert meztlivaleriano / Pixabay / Pixabay)

Seit Jahren hören wir: Quantencomputing ist die Zukunft. Es kann Informationen schneller verarbeiten und komplexere Probleme bewältigen als klassische digitale Computer. Das liegt an den quantenmechanisch verschränkten Elementarteilchen, genannt Qubits. Diese können nicht nur – wie klassische Bits – die Werte 0 oder 1 annehmen, sondern gleichzeitig auch alles dazwischen. So lassen sich komplexe Aufgaben parallel statt linear abarbeiten, Rechenergebnisse werden in Sekunden statt in Monaten geliefert.

Das ist vielversprechend, entsprechend fallen die Prognosen euphorisch aus: Im besten Falle werde das Gesamtvolumen des Quantencomputer-Marktes im Jahr 2040 rund 135 Milliarden US-Dollar betragen, bis 2050 könnte es auf 295 Milliarden US-Dollar steigen. Verlockende Aussichten, da wollen viele dabei sein.

Google, IBM und seine europäischen Partner

Google gilt als Pionier des kommerziellen Quantencomputings. 2019 stellte man den Quantencomputer „Sycamore“ vor, der eine Rechenaufgabe angeblich innerhalb von dreieinhalb Minuten lösen konnte, für die die schnellsten Supercomputer rund 10.000 Jahre gebraucht hätten. Dieser Erfolg wurde vergangenes Jahr allerdings relativiert, ein ordentlicher herkömmlicher Rechner hätte das auch in ein paar Minuten geschafft, hieß es plötzlich. Sergio Boixo, Cheftechnologe bei Google Quantum AI, hält dennoch an seiner Vision fest und erwartet bahnbrechendes durch Quantencomputing.

Anlässlich der Einweihung des „Quantum-AI-Campus“ in Santa Barbara, Kalifornien, vor zwei Jahren erklärte Erik Lucero, Lead Engineer, Google Quantum AI, er rechne für 2029 mit den ersten kommerziellen Anwendungen. Dafür hat man gerade wieder einen Durchbruch vermeldet, es geht um die Vermeidung von Quantenfehlern, die den Forschern nach wie vor das Quantenleben schwer machen.

Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.
Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.
(Bild: Fraunhofer)

Auch IBM ist seit längerem auf dem Gebiet des Quantencomputings tätig und bietet dafür nach eigenen Angaben die weltweit größte Flotte von Quantencomputern auf – die selbstredend über die Cloud zugänglich sind. Das IBM Quantum Network wurde im Juni 2021 für Europa freigeschaltet. Der das Netzwerk fundierende Quantencomputer hört auf den Namen IBM Quantum System One und steht in Ehningen bei Stuttgart. Auf ihn greifen unter anderem die Fraunhofer-Gesellschaft und ihre Partner zu.

„Wir bieten mit unserer Plattform rund um den IBM-Quantenrechner allen Unternehmen und Forschungseinrichtungen die Möglichkeit, diese Zukunftstechnologie aktiv voranzutreiben, sich umfassend für das Quanten-Zeitalter zu qualifizieren und die gewonnenen Fähigkeiten nutzbringend einzusetzen“, so Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.

Als Teil des IBM Quantum Networks bietet T-Systems seinen Kunden seit kurzem einen Cloud-Zugang zu IBM-Quantencomputern: Kunden haben Zugang zu den auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Quantenservices von T-Systems. Diese werden in verschiedenen Paketen angeboten: Sie reichen von eintägigen Einführungsveranstaltungen bis hin zu mehrmonatigen Business-Case-Proofs-of-Concept.

„Unternehmen auf der ganzen Welt beginnen zu erforschen, wie sich Quantencomputing auf ihre Branche und ihr Geschäft auswirken wird. Durch die Partnerschaft mit T-Systems als Cloud-Anbieter können wir einem noch breiteren Ökosystem den Zugang zur Quantentechnologie ermöglichen. Unser Team bei IBM freut sich darauf, T-Systems und ihre Kunden bei der Erforschung und Nutzung von Quantenanwendungen für ihre Geschäftsabläufe zu unterstützen“, so Scott Crowder, Vice President, IBM Quantum Adoption and Business Development.

Auch DACH will mitmischen

Nicht nur die deutschen Organisationen T-Systems und Fraunhofer-Gesellschaft engagieren sich groß in Sachen Quanten. In Europa und speziell in der DACH-Region versuchen sich noch viel mehr Mitspieler einzubringen: Ende 2020 gründeten Terra Quantum aus der Schweiz und das österreichische Novarion das Joint Venture QMware mit Sitz in München. Ziel war der Aufbau der „ersten voll funktionsfähigen Hybrid Quantum Cloud“. Im Januar 2022 stellte man sie tatsächlich online.

Markus Pflitsch, CEO und Gründer von Terra Quantum und zugleich Chef bei QMware.
Markus Pflitsch, CEO und Gründer von Terra Quantum und zugleich Chef bei QMware.
(Bild: QMware)

„QMware ist das einzigartige Versprechen an unsere Kunden, ihnen einen einfachen Zugang zu bieten zu Gaia-X – den Grundlagen für eine föderierte, offene Dateninfrastruktur basierend auf europäischen Werten – kompatible hybride Quanten-Cloud-Dienste in Kombination mit modernstem Quantenalgorithmus-Design sowie Quanten-aktivierter künstlicher Intelligenz und maschinellen Lerntechniken“, so Markus Pflitsch, CEO und Gründer von Terra Quantum und zugleich Chef bei QMware.

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Letzteres ist Teil des Konsortiums, bestehend aus der Universität Stuttgart, dem Fraunhofer Fokus und Ionos, das das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Ende vergangenen Jahres mit dem Aufbau einer ersten deutschen Quantencloud für Industrieanwender beauftragt hat. Die Federführung des Projekts SeQuenC („Souveränität für Quantenlösungen in der Cloud“) hat Ionos, das seine Rechenzentren für den kontinuierlichen Betrieb der Quantencloud bereitstellt.

Dr. Adrian Paschke, Leiter DANA – Data Analytics Center.
Dr. Adrian Paschke, Leiter DANA – Data Analytics Center.
(Bild: Philipp Plum/ Fraunhofer FOKUS)

Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt. Erste Kooperationen laufen in Industriezweigen, die in besonderem Maße auf Anwendungen in den Bereichen Optimierung, Simulation oder Maschinelles Lernen zugreifen. So zum Beispiel in der Telekommunikation, Logistik, Finanz-, Automobil- und Energiewirtschaft. „Für den Erfolg des Quantencomputings als Schlüsseltechnologie wird es weltweit zukünftig von zentraler Bedeutung sein, innovative und wirtschaftlich attraktive Quantenapplikationen als Cloud-fähige Lösungen zu entwickeln“, so Prof. Dr. rer. nat. Adrian Paschke, Direktor des Data Analytics Center (DANA) am Fraunhofer-Institut Fokus.

Amazon und Microsoft

Richtig krachen lässt es Amazon: Kunden der Amazon Web Services (AWS) erhalten via dem 2020 gestarteten „Amazon Braket“ Zugang zu gleich mehreren Arten von Quantencomputing, einschließlich supraleitenden, Ionenfallen-, Neutralatom- und photonischen Quantencomputern. Auf die Unterschiede können wir an dieser Stelle nicht eingehen, ohne epische wissenschaftliche Abhandlungen zu zitieren. Zusätzlich arbeitet Amazon den Angaben des AWS Director Applied Science, Oskar Painter, zufolge an einem eigenen Quantenrechner. Für Anwender stehen bislang jedenfalls ein Software Development Kit (SDK) sowie Tools für die Algorithmenentwicklung und das Workflow-Management bereit.

Microsoft ist im Vergleich dazu ein Nachzügler. Schon länger offeriert man zwar „Azure for Business“ – das sind bekanntlich Cloud-Lösungen für kleine und mittlere Unternehmen. Erst seit März dieses Jahres ist jedoch eine integrierte Hybrid-Funktion in Azure Quantum verfügbar, das ist, vereinfacht gesprochen, Quantencomputing aus der Cloud. Hinzugezogen werden klassische Rechensysteme im Peta-Maßstab, die mindestens 1.015 Gleitkommaoperationen pro Sekunde (1 petaFLOPS) schaffen und über eine Bandbreite von bis zu 100 Terabit pro Sekunde zwischen Quanten- und klassischen Systemen vermitteln.

Inwieweit das Angebot schon für den Business-Einsatz brauchbar ist, erklärt uns Krysta Svore, Distinguished Engineer and Vice President of Advanced Quantum Development bei Microsoft. Sie macht als Einsatzzweck – wenig überraschend – zuvorderst sehr große Kalkulationen aus, wie sie typischerweise in der Wissenschaft anfallen, etwa bei der Berechnung von Klimamodellen.

Wie geht eigentlich „Quantisch“?

Doch wie nutzt ein Unternehmen einen Quantencomputer wie Microsofts „Quantinuum“ oder IBMs „Quantum System One“? Mandy Bartel von der Fraunhofer-Gesellschaft erläutert ihr eigenes Vorgehen: „Zunächst übersetzte das Team in Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg das zu simulierende Netzwerk gewissermaßen in ‚Quantisch‘. Die Informationen sind in Quantencomputern in sogenannten Qubits gespeichert. Quantenschaltungen, genannt Circuits, zwischen diesen Qubits sorgen dafür, dass der Quantencomputer die Aufgabe versteht.“

Dr. Corinna Köpke, Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI.
Dr. Corinna Köpke, Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI.
(Bild: Ernst-Mach-Institut)

Na hoffentlich. Aktuell seien die Möglichkeiten aber noch eingeschränkt: „Da in heutigen Systemen für solch umfassende Fragestellungen wie die des Fraunhofer EMI noch nicht genügend Qubits zur Verfügung stehen, reduzierten die Wissenschaftler das zu betrachtende Netzwerk zunächst auf wenige Parameter. Zudem behalfen sie sich mit einem Kniff, indem sie das Problem in kleinere Teilbereiche aufteilten: die Informationsübertragung zwischen den einzelnen ‚Knoten‘, also Parametern, auf der einen Seite und die Störung und ihre Effekte auf der anderen.“

Die beiden Projektleiter Dr. Corinna Köpke und Mirjam Fehling-Kaschek zeigten sich im Februar dieses Jahres mit den Ergebnissen aber noch nicht richtig zufrieden, es brauche noch mehr Forschung, eine weitere Reduktion der Komplexität in der Fragestellung – und eventuell eine ganz andere Herangehensweise. Man sei aber dran.

Chemie und Materialwirtschaft hat Bedarf

Wir halten fest: Ohne die Hilfe von Experten sind Quanten-Angebote aus der Cloud kaum brauchbar. Die Hochverfügbarkeit und die Möglichkeiten zur Skalierung von Rechenleistungen in den Peta-Bereich über die Cloud schafft nichtsdestotrotz neue Möglichkeiten – Chemie und Materialwissenschaft sind die beiden „klassischen“ Einsatzfelder dafür. Doch bereits das High-Performance-Computing (HPC) in Azure bietet hier in Kombination mit künstlicher Intelligenz ein riesiges Potenzial für Fortschritte. Quantenmaschinen wie die in Azure ermöglichen darüber hinaus aber eine exponenziell höhere Genauigkeit bei der Modellierung neuer Pharmazeutika, Chemikalien und Materialien. Das wird weitreichenden Folgen haben, da Chemie und Materialwissenschaft nicht weniger als 96 Prozent aller hergestellten Waren tangieren.

Aber kann Quantencomputing darüber hinaus im Geschäftsalltag hilfreich sein? Quantenaktivist Markus Pflitsch erwartet Disruptionen für quasi alle Industrien – wegen des enormen Geschwindigkeitsvorteils des Quantenrechenens gegenüber herkömmlichem Computing. Die so zu lösenden Probleme könne man sich heute noch gar nicht vorstellen – er verortet sie aber ebenfalls zuerst im Bereich der Simulationen auf Atom- und Molekülebene, also wieder in der Materialforschung.

Außerhalb der Forschung wird ein großes Rechenpotenzial am ehesten im Bereich von sehr großen Datenmengen – landläufig Big Data genannt – sowie den Large Models der KI benötigt. Die Rechenpower eines Quantencomputers scheint dafür jedoch oft überdimensioniert. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit wäre laut Pflitsch die Verschlüsselungstechnologie. Mit einem Quantencomputer ließe sich im Prinzip jeder klassische Code knacken. Im Umkehrschluss müssten sich Unternehmen heute schon quantensicher aufstellen.

Amazon blickt ja auf eine vergleichsweise lange Zeit des Quantenforschens zurück. AWS-Nutzer haben dabei u.a. ein Quantenkonzept für die Verwaltung von Finanzanlagen, ein neuronales Quantennetzwerk zur Risikobewertung sowie – das war zu erwarten – eine Berechnungssoftware zur Durchführung chemischer Simulationen entwickelt.

Ähnlich sieht es bei IBM aus: Zusammen mit diversen Partnern aus der Industrie wie Boeing, Exxon oder BP tastet man sich in mögliche Einsatzgebiete vor – ein offenkundig langwieriger Prozess. Schon seit Jahren versucht man beispielsweise zusammen mit Mercedes Benz unter Zuhilfenahme von Quantencomputing, effizientere Batterien für Elektroautos zu entwickeln. Brauchbare Ergebnisse bleiben bislang Mangelware. Big Blue geht davon aus, dass kommerziell nutzbare Anwendungen erst in ein paar Jahren möglich werden. Ähnlich sieht es bei der Kooperation von Mercedes mit Googles Quantenrechner aus – viel Rauch, leider wenig Feuer.

Business-Einsatz ist bereits ansatzweise möglich

Wenigstens QUTAC, ein Konsortium bestehend aus 13 deutschen Industrieschwergewichten, kennt über die oft genannten Testszenarien und chemischen Prozesse hinaus konkretere Einsatzziele: Da wäre ein besseres Routing von Fahrzeugen zu nennen oder lukrativere Transportversicherungen, geschmeidiges Flottenmanagement sowie eine optimierte Planung des Robotereinsatzes in der Produktion. „Bei uns sind täglich tausende Industrieroboter in Produktion und Logistik im Einsatz. Die Planung von Roboterabläufen ist komplex und ideal für computergestützte Optimierung und Designtechniken“, berichtet etwa Dr. Andre Luckow, Leiter der Abteilung Neue Technologien beim Konsortiumsmitglied BMW Group IT. „Mithilfe von Quantencomputing wollen wir die Anzahl notwendiger Testfahrzeuge minieren und gleichzeitig eine hundertprozentige Testabdeckung sicherstellen.“

Optimierung ist damit das Zauberwort, wenn wir uns nach dem Sinn und Zweck von Quantencomputing in Unternehmen umsehen. IT-Verantwortliche sollten sich fragen, was sie noch alles ein Stück besser und günstiger machen könnten. Zu denken wäre etwa an die globalen, aber löchrigen Lieferketten. Auch Lastwagen und Lagerhallen gilt es möglich effizient zu füllen, Angebot und Nachfrage kostensparend auszutarieren, die Losgrößen zu bestimmen, mögliche Finanztransaktionen zu prognostizieren, etc. etc.

So gesehen finden sich Anwendungen, die dem Business ganz direkt weiterhelfen, an allen Ecken und Enden. Es hängt vom konkreten Einsatzszenario ab, ob dafür der Einsatz von Quantencomputern über die Cloud notwendig ist. Oft wird auch HPC oder gar nur ein Cluster aus Grafikkarten ausreichen.

Freiwillige vor – es locken Fördergelder

Unternehmen, die sich dennoch oder eben gerade als Entwickler und/oder Anwender betätigen wollen, können auf Unterstützung von Bund und Ländern hoffen: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat bis 2025 Fördergelder in Höhe von 878 Millionen Euro für die praxisnahe Entwicklung und Anwendung von Quantencomputing ausgeschrieben. Der Großteil davon wird über das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an Partner aus dem Mittelstand verteilt, die dann in mehreren „Hubs“ unterschiedliche Qubit-Technologien entwickeln sollen. QUTAC fungiert als „beratende Instanz“ und möchte dafür sorgen, „dass Fördergelder dort ankommen, wo sie den größten kommerziellen Mehrwert versprechen“.

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