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Beruf & Arbeitsplatz Was Industrie 4.0 für den Menschen bedeutet

Autor / Redakteur: Katharina Juschkat / Dipl.-Ing. (FH) Andreas Donner

Die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik analysiert die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung. Die Professoren haben ein neues Modell entwickelt, das den Automatisierungsgrad in der Industrie analysiert und zeigt, wo noch Handlungsbedarf besteht.

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Die Produktionshallen der Zukunft sollen trotz Digitalisierung und Industrie 4.0 nicht menschenleer werden.
Die Produktionshallen der Zukunft sollen trotz Digitalisierung und Industrie 4.0 nicht menschenleer werden.
(Bild: gemeinfrei / CC0 )

Die vierte industrielle Revolution – Industrie 4.0 – befindet sich mitten in der Umsetzung. Doch welche gesellschaftlichen Folgen wird die Digitalisierung und Vernetzung der deutschen Industrie nach sich ziehen? Genau das untersucht die Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik, kurz WGP, in ihrem Standpunktpapier „Industriearbeitsplatz 2025“.

Prof. Berend Denkena, Präsident der WGP, erklärt: „Jede industrielle Revolution, und als solche wird ja Industrie 4.0 bezeichnet, geht mit immensen gesellschaftlichen Umwälzungen einher. Wir wollen als Zusammenschluss deutscher Professoren der Produktionstechnik unser Wissen einbringen, um diese Umwälzungen möglichst menschengerecht zu gestalten.“ Hierfür haben die Autoren ein neues Modell entwickelt, das den Automatisierungsgrad in der Industrie analysiert und zeigt, in welche Richtung Handlungsbedarf besteht.

Wie die Arbeitsplätze der Zukunft gestaltet werden sollten

Die WGP-Professoren haben sich am Stufenmodell für autonomes Fahren orientiert. Unterschiedliche Automatisierungsstufen beschreiben dabei den Weg hin zur Vollautomatisierung. Diese Stufen werden auf drei unterschiedliche Dimensionen angewendet: die Material- und Informationsflüsse (Vernetzung), den Anlagenzustand (Betriebszustand) und den jeweiligen Produktionsprozess.

„Unternehmen können dieses Modell nutzen, um den Automatisierungsgrad ihrer unterschiedlichen Produktionsprozesse zu bestimmen und daraus abzuleiten, wo Handlungsbedarf besteht“, berichtet Prof. Peter Groche, Initiator des WGP-Standpunktpapiers. Dabei geht es nicht nur darum herauszufinden, ob weiter automatisiert werden sollte oder nicht, sondern auch um die Gestaltung des künftigen Arbeitsplatzes. So sollen zum Beispiel Weiterbildungsbedarfe der Mitarbeiter frühzeitig erkennbar werden.

„Wir benötigen auch für die Produktion eine Roadmap der Automatisierung, im Rahmen derer wir Arbeitsplätze zukunftsorientiert ausrichten können“, ergänzt Prof. Jörg Krüger, Leiter des Fachgebiets Industrielle Automatisierungstechnik im Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb (IWF). „Ältere Modelle werden dem nicht gerecht. Gerade die zukünftige Verbindung des Menschen mit maschinell lernenden Systemen in der Fabrik müssen wir genauer betrachten.“

Menschen bleiben auch in smarten Fabriken wichtig

„Anhand unseres Modells haben wir auch den derzeitigen und den künftigen technologischen Stand im deutschen produzierenden Gewerbe analysiert“, sagt Groche. „Denn nur mit wissenschaftlich fundiertem Wissen kann man Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragen finden – bezogen auf Hoffnungen, genauso wie auf Ängste etwa vor massivem Verlust an Arbeitsplätzen.“ Es zeigte sich, dass es bis zur Vollautomatisierung der deutschen Industrie noch ein weiter Weg ist. Dennoch müsse man davon ausgehen, dass künftig die Optimierung von Produktionsanlagen und -prozessen nicht mehr nur von Menschen, sondern zunehmend von den Maschinen selbst übernommen wird.

Die WGP ist jedoch davon überzeugt, dass Menschen auch in vollautomatisierten Fabriken längerfristig nicht überflüssig werden. „Auch selbstlernende Produktionssysteme müssen von Facharbeitern zum Lernen angeleitet werden“, ist sich Prof. Bernd-Arno Behrens, Leiter des Instituts für Umformtechnik und Umformmaschinen der Leibniz Universität Hannover, sicher. „Und autonome Teilsysteme einer Produktionsanlage müssen überwacht und instand gehalten werden. Zudem eröffnen beispielsweise datenbasierte Dienstleistungen und maschinelles Lernen ganz neue Geschäftsmodelle, für die Mitarbeiter mit neuen Qualifikationsprofilen benötigt werden.“

Standort Deutschland durch qualifizierte Mitarbeiter sichern

Nicht zuletzt, so die Annahme der Autoren, könnte Industrie 4.0 dafür sorgen, dass einfache Tätigkeiten im eigenen Land wieder lukrativer werden, so dass das ein oder andere Unternehmen ins Ausland verlegte Produktionsschritte nach Deutschland zurückholen könnte. Damit wäre die Produktionsverantwortung wieder unter einem Dach vereint. „Es kann einen nicht zu unterschätzenden unternehmerischen Vorteil bedeuten, die gesamte Prozesskette an einem Standort überblicken zu können“, erklärt Behrens.

Eine zentrale Rolle spielen Mitarbeiter aber auch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt. So sei der Wettbewerbsvorsprung deutscher Fabriken unter anderem in der hohen Qualifikation ihrer Mitarbeiter begründet. „Mit Blick auf den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb sind hochqualifizierte Mitarbeiter, die sich durch ein hohes Prozessverständnis auszeichnen, ebenfalls ein Pfund, mit dem wir wuchern können“, so Behrens. „Nur wenn wir diesen Qualifikationsvorsprung aufrecht erhalten, kann auch der Wettbewerbsvorteil des Hochlohnlandes Deutschland in näherer Zukunft gehalten werden, weil die Mitarbeiter selbst bei zunehmender Automatisierung in der Lage sind, den Prozess nachzuvollziehen und – wenn nötig – entsprechend einzugreifen.“

Bildungssystem muss angepasst werden

Soll dieser Wettbewerbsvorsprung gehalten werden, muss das Bildungssystem jedoch zeitnah angepasst werden, mahnen die WGP-Professoren. Schon jetzt werden Fachkräfte mit Kenntnissen beispielsweise in IT und Mechatronik händeringend gesucht. „Unser Aus- und Weiterbildungssystem ist viel zu starr“, moniert Prof. Jens Wulfsberg, Leiter des Laboratoriums Fertigungstechnik der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. „Wir müssen Berufsschullehrer, Professoren und alle Mediatoren in Sachen Digitalisierung auf den neuesten Stand der Dinge bringen“, fordert Wulfsberg. „Das könnten wir durch Updateschulungen in unseren Forschungseinrichtungen erreichen. Deswegen sollten sich Unternehmen und Forschungseinrichtungen weiter verzahnen und beispielsweise Trainer austauschen.“

Dieser Beitrag stammt von unserem Schwesterportal Konstruktionspraxis.

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