Technische Netzwerkrevolution und politisches Lobbying DTAG testet vereinfachtes IP-Netz
Das Konzept "TeraStream" der Deutschen Telekom soll IP-Netze gleichzeitig vereinfachen und effizienter machen. Bis 2020 könnte die Infrastruktur stehen, in Kroatien probiert man die dafür gedachten Techniken bereits im Pilotbetrieb aus.
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Die Deutsche Telekom arbeitet nach eigenen Angaben an einer revolutionären Netzarchitektur, die den Anforderungen der Gigabit-Gesellschaft gerecht werden soll – das beinhaltet etwa die Übertragung wachsender Datenmengen in Echtzeit. Im Vergleich zu bislang genutzten Infrastrukturen soll das TeraStream genannte Konzept hierbei effizienter und zuverlässiger funktionieren. Insbesondere verspricht sich die Telekom geringere Latenzen und Produkteinführungszeiten. Zudem sollen mit dem Modell auch Kosten für den Transport von IP-Paketen reduziert werden.
Kommunikation und Lobbying
In einer offiziellen Mitteilung zum Thema lässt der Konzern die technischen Details des Ansatzes weitgehend im Dunkeln und übt sich stattdessen in Lobbyarbeit. Bei der Regulierung in Europa sollte doch bedacht werden – so die Deutsche Telekom – dass auch die Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften von leistungsfähigen Netzen abhänge. Investitionen in die Netzarchitektur der Zukunft seien daher Infrastrukturinvestitionen in den Produktionsstandort Europa.
In einer weiteren Presseinformation deutet der Konzern immerhin an, dass man bei TeraStream die Software für den Netzbetrieb von den Netzwerkkomponenten in die Cloud verlagern wolle. Damit erhalte man eine zentrale Steuerung aus einem Rechenzentrum.
Wir wollten nun genauer wissen, wie das im Detail funktionieren soll, hat dem Telekommnunkationsdienstleister auf den Zahn gefühlt und schließlich sogar Zugriff auf ein technisches Whitepaper mit dem Titel "TeraStream: A model for simplification of IP networks" erhalten. Trotz einiger ungeklärter Details liefert das 30-seitige Dokument bereits eine recht umfassende Darstellung der Infrastruktur.
Und obwohl die Zukunftsvision TeraStream erst um das Jahr 2020 Realität werden soll, taugen die Beschreibungen offenbar schon für erste Pilotversuche. Derzeit testet die kroatische Unternehmenstochter Hvratski Telekom die neue Architektur.
IP-Netz mit optischen Kanälen
Mit TeraStream soll die Netzwerkstruktur radikal vereinfacht werden. Statt einem Mix aus L2-Ethernet-Aggregation, MPLS-Netzen und OTN-Übertragungen soll es künftig nur noch IP-Transfers über optische Medien geben. Statt separater Netze für unterschiedliche Dienste gibt es bei TeraStream genau ein Netz – und das ist dann zuständig für alle Anwendungen von Internet über managed IP Services hin bis zu Fernsehübertragungen.
IPv6 ist dabei das Protokoll der Wahl für alle internen Schnittstellen. Das Netzwerk soll zudem so provisioniert werden, dass nur im äußersten Ausnahmefall IP-Pakete verloren gehen. Wenn, so soll dem dann eine Entscheidung auf Layer 3 vorausgehen.
Nur zwei Routerarten
In der TeraStream-Topologie gibt es genau zwei Arten von Routern. Die mit R1 bezeichneten Router befinden sich am Netzwerkrand und empfangen dort über 10GE-Schnittstellen den von L2-Ethernet-Switches aggregierten Traffic der verschiedenen Zugangsnetze – DSL, GPON; Mobilfunk oder Glasfaser.
Mehrere R1-Router hängen an einer Schleife, an deren Enden sich die zentral im Netz angesiedelten R2-Router befinden. Das bedeutet: Jeder R1-Router hat direkten Kontakt zu zwei R2-Routern. Die Schleife wird "Drop & Waste"-WDM umgesetzt und bedarf keines aktiven DWDM-Equipments. Daten werden auf verschiedenen Wellenlängen übertragen.
Dem entsprechend macht das Whitepaper auch Aussagen zur Menge so gekoppelter Systeme: Pro Schleife stehen dabei 80 oder 96 Kanäle zur Verfügung. Für die Kommunikation zu jedem der zwei R2-Router bleibt davon je die Hälfte übrig. Pro R1-Router reserviert das Modell fünf bis acht Wellenlängen in jede Richtung. Damit wären fünf bis acht R1-Router pro Schleife machbar.
R2-Mesh statt Routerpaar
Vom Idealbild mit lediglich einem einzigen R2-Routerpaar verabschiedet sich das Whitepaper im übrigen. Zwar ließe sich mit solch einer Konstellation der Traffic zwischen den R2-Routern reduzieren. Anforderungen an Resilienz und Skalierbarkeit stehen dem Konzept aber entgegen.
Statt einem R2-Routerpaar beschreibt TeraStream daher auch ein vermaschtes Netzwerk. In diesem Mesh sind alle R2-Router miteinander verbunden. Zwei R1-Router sollen dabei nicht weiter als zwei R2-Router voneinander entfernt sein.
Die R2-Mesh-Topologie gilt übrigens auch externe IP-Peers. Wollen sich diese mit dem TeraStream-Netz verbinden, müssen sie sich mit allen R2-Nodes verbinden. Hierfür nennt das Whitepaper zwei Möglichkeiten. Entweder verlegen oder mieten die Peers tatsächlich Leitungen zu allen R2-Routern. Alternativ könnten sich kleinere Anbieter aber auch mit einem R2-ähnlichem Node verbinden, der dann seinerseits Verbindungen zu allen anderen R2-Nodes in TeraStream herstellt.
Redundante Rechenzentren
Zurück zu den R2-Routern im eigentlichen TeraStream-Netz. Die beschreibt das Whitepaper als äußerst skalierbare Core Router, die – nach jetzigem Stand der Technik – mehrere 100GE-Ports bedienen. Die Systeme sollen Kunden mit Diensten der Cloud Service Center im Netz versorgen. Und das entspricht einem erheblichen Traffic-Anteil: Laut Prognose sollen derlei Services in Zukunft 40 Prozent des gesamten Netzverkehrs ausmachen. Konkret denkt die Deutsche Telekom dabei an bandbreitenhungrige Anwendungen, wie IPTV. Kommen sollen derlei Dienste aus Rechenzentren in direkter Umgebung der R2-Router: Jeder Router besitzt dabei sein eigenes Datacenter.
Dank dieser Architektur funktioniert TeraStream auch dann noch, wenn einzelne Komponenten ausfallen. Sollte ein Rechenzentrum beispielsweise nicht mehr funktionieren, könnten R1-Router zunächst auf das Datacenter des alternativen R2-Routers am anderen Ende der Schleife ausweichen. Sollte auch diese Infrastruktur nicht mehr funktionieren, könnten die R1-Router über das R2-Mesh andere Rechenzentren ansprechen. Im aktuellen Modell sind für diesen Fall allerdings noch keine Kapazitätsreserven vorgesehen.
Investitionen: Beispielrechnungen
Die Deutsche Telekom hat das TeraStream-Modell bereits für Deutschland hochgerechnet. Dabei sollen 24 Millionen Endnutzern bis zu 960 Tbit/s bereitgestellt werden. Die 20 R2-Router und 4.800 R1-Router dieser Installation würden demnach knapp 7,2 Milliarden Euro kosten. Die Zahl dürfte dabei lediglich als Schätzung taugen, denn die reale Infrastruktur wird in einigen Punkten vom ersten Entwurf abweichen. Mit der bereits vorhandenen Glasfaserinfrastruktur ist beispielweise eine Zahl von 24 R2-Routern wahrscheinlicher als die bei der Kalkulation angenommenen 20.
Angepasstes OSS
Für TeraStream plant die Deutsche Telekom zudem ein angepasstes Betriebsunterstützungssystem (OSS) mit einem hohen Automatisierungsgrad. Ein als OSS-Gateway beschriebenes Konzept soll dabei etwa eine gewisse Unabhängigkeit zwischen dem TeraStream-Netzwerk und Busines Support Systems (BSS) bieten.
Das OSS-Gateway soll angesiedelt sein zwischen TeraStream-Elementen und Systemen mit denen Produkte über TeraStream an Endnutzer ausgeliefert werden. Die zentralen Komponenten des OSS könnten an einer einzelnen Site implementiert, beispielsweise einem Backend Data Center außerhalb des TeraStream-Netzes. Die hier zur Verfügung gestellten Funktionen umfassen Service-Kataloge oder Worklow Engines.
Zusätzlich sollen an jedem R2-Node lokale OSS-Funktionen angesiedelt werden. Diese Komponenten sollen dann eine Schnittstelle zu Netzwerkelementen des OSS-Gateways herstellen, um beispielsweise Fehler- und Performancedaten einzusammeln oder Netzwerkelemente zu konfigurieren.
Ausblick und technische Weiterentwicklung
Das jetzt beschriebene Modell von TeraStream soll künftige, technische Weiterentwicklungen berücksichtigen. So erwägen die Autoren des Whitepapers bereits heute, die R1-Router in der jetzigen Form abzuschaffen. Begründung: Layer-2-Geräte würden zunehmend "IP aware" und könnten dem entsprechend Funktionen der Edge-Router übernehmen. Denkbar sei alternativ, dass R1-Router noch weiter an den Rand des Netzes rücken, in Straßenschaltschränken implementiert werden und damit den Bedarf an L2-Aggregation-Systemen reduzieren.
Des Weiteren prüft man, inwieweit TeraStream auch für mobile Netze nutzbar sein könnte. Kurzfristig könnte das Netz etwa als Backhaul dienen; langfristig soll ein mit TeraStream eingeführtes Adressierungsschema auch für mobile Protokolle Anwendung finden.
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